Grünland & Futterbau
Weidebasierte Milchproduktion – ein Zukunftskonzept in Grünlandregionen?
Die Vollweide mit ganztägigem Weidegang der melkenden Kühe ist in Grünlandregionen ein sinnvolles und wirtschaftliches Konzept. Das zeigen Betriebe mit einem hohen Anteil an Dauergrünland in Mittel- und Hochgebirgslagen in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland. Auf einer internationalen Weidetagung im August 2014 in der Zentralschweiz nahmen 120 in Landwirtschaft, Beratung und Wissenschaft tätige Personen teil, um verschiedene Aspekte zum Thema Vollweide zu besprechen. Es wurden ein konventionell und ein ökologisch wirtschaftender Betrieb mit Vollweide besucht.
Schweizer Erfahrungen mit der intensiven Standweide
In der Schweiz sind 35 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche Alpwirtschaftsflächen. Das hierüber die rentable Nutzung des Grünlandes nachgedacht wird, ist selbstverständlich. Wer sich für ein Vollweidesystem entscheidet, hat die Zahlen seiner Produktion im Hinterkopf und ist kein nostalgischer Idealist. Das zeigten eindrucksvoll zwei Betriebe mit saisonaler Abkalbung im Januar bis März und komplettem Verzicht auf Kraftfutter.
Der Bio-Vollweidebetrieb Braun liegt zwischen Bern und Luzern. Diese Tatsache und die Nähe zur Autobahn machen den Standort und die Flächen auch attraktiv für mittelständige Industrieunternehmen. Dem 50- Kuhbetrieb ist dadurch der Weg in die Vergrößerung der Milchviehherde und abgelieferten Milchmenge versperrt. Er entschied sich für einen anderen Weg: Seine 9.000 kg-Leistungsherde, gefüttert mit einer kraftfutterintensiven Teilmischration stellte er auf eine Herde mit rund 6.000 kg Laktationsleistung aus betriebseigener Grasprodukten ohne Kraftfutter um. (Anmerkung: Das Milchleistungsfutter ist in der Schweiz circa dreimal so teuer wie zurzeit in Deutschland.)
So gelang die Umstellung:
- Großrahmige Kühe mit einer sehr hohen Milchleistung wurden als Zuchttiere gewinnbringend verkauft.
- Die saisonale Abkalbung wurde überwiegend durch das Jungvieh verwirklicht.
- Zucht kleinrahmiger, tiefer Kühe (durchschnittlich 550 kg Lebensgewicht) der Rasse Swiss Fleckvieh, damit der Erhaltungsbedarf und der Bedarf für die Milcherzeugung allein mit der täglichen Weidefutteraufnahme gedeckt werden können.
- Der Zuchtschwerpunkt liegt auf Langlebigkeit, Fruchtbarkeit sowie Eutergesundheit.
- Die künstliche Besamung erfolgt nur bis Ende April, danach Belegung durch den Deckbullen.
- Nur die weiblichen Nachkommen aus der Erstbesamung werden zur Zucht weiter im Betrieb behalten (Sicherung der Fruchtbarkeit).
- Durch die fehlenden arrondierten Flächen werden die Kühe im Weidemelkstand gemolken.
- Die Jungviehaufzucht wurde in einen Nachbarbetrieb ausgelagert.
Mehr als 50 %der melkenden Kühe befinden sich bereits in der 5. Laktation. Jeden Herbst werden die Jungtiere in die Herde eingegliedert. Es kalben zwischen Januar und März 70 Tiere. Bis zum folgenden Herbst werden 30 Kühe zur Zucht für durchschnittlich 3.500 CHF (Schweizer Franken – das entspricht circa 3.217 €) verkauft. Ein Teil der Milch wird im Hofladen als antibiotikafreie Milch verkauft. Seit 2005 werden keine Antibiotika mehr zur Behandlung von Mastitiden eingesetzt, sondern nur noch homöopathische Mittel. Die Vergütung der Arbeitskraftstunde hat sich nach Angaben des Betriebsleiters von 10 auf 30 bis 45 CHF/h erhöht, was auch aus einem wesentlich reduzierten Arbeitszeitbedarf resultiert.
Milchproduktion aus Weidegras mit der Umtriebsweide
Im zweiten Betrieb, dem konventionellen Vollweidebetrieb Buchner im Kanton Luzern wird ebenfalls die konsequente saisonale Abkalbung und Melkpause durchgeführt. Auf 29 ha arrondierter Fläche melken 57 Kühen durchschnittlich 6.340 kg ECM (energiekorrigierte Milch) ohne Kraftfutter. Der Betriebsleiter setzt über Verdrängungskreuzung kleinrahmige Rassen, wie Neuseeländische Holstein-Friesian (HF) und Kiwi-Cross in seine Braunviehherde ein. Die Flächen werden als intensive Umtriebsweide genutzt. Um die 29 ha wurde eine feste Umzäunung installiert, die Parzellen mit flexiblem Weidezaun abgezäunt. Je nach Jahreszeit werden die Parzellen alle 22 bis 28 Tage beweidet. Mindestens einmal im Vegetationszeitraum erfolgt eine Schnittnutzung, um die Geilstellen zu minimieren. Mit mineralischer Düngung kann die Aufwuchsmenge gesteuert werden. Mit Niederschlagsmengen von über 1.000 l/m² und der südlichen Lagen sind Erträge von 130 bis 140 dt Trockenmasse pro ha Grünland möglich. Mit dem System der Umtriebsweide können die Kühe mehr Trockenmasse pro Tag aufnehmen als mit der intensiven Standweide. Der Unterschied liegt hier in den unterschiedlichen Wuchshöhen der Weide. Eine Parzelle der Umtriebsweide wird bei einer Wuchshöhe von 7 bis 8 cm aufgetrieben und mit durchschnittlich 3,5 cm umgetrieben. Auch bei diesem Weidesystem ist das systematische Vorgehen und Kontrollieren des Gräserwachstums unerlässlich. Der Betriebsleiter äußerte sich sehr zufrieden mit der Umstellung auf die weidebasierte Milchproduktion. Er sieht den persönlichen Zugewinn an freigewordener Lebenszeit bei gleichbleibendem Betriebsgewinn.
Bei beiden Betrieben stehen die Hofnachfolger in den Startlöchern und begleiten diese Form der Milchproduktion mit Begeisterung.
Ausblick: Die Grünland- und Weide-basierte Milchproduktion gewinnt an Bedeutung
„Die für die Nahrungsproduktion zur Verfügung stehenden Flächen werden knapper. Die Weltbevölkerung wächst und verlangt nach Ackerfrüchten. Aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, dass die Grünland- und Weide-basierte Milchproduktion in den nächsten Jahrzehnten an Bedeutung gewinnt“, so Professor Peter Thomet (HAFL Zollikofen), der die weidebasierte Milchproduktion in der Schweiz wesentlich vorangetrieben hat.
In einer Effizienzanalyse wurden 14 spezialisierte, schweizerische Milchproduktionsbetriebe verglichen. Dabei waren Betriebe mit Hochleistungsstrategie auf Basis einer maissilage- und kraftfutterbasierten Fütterung, sowie konventionell und ökologisch wirtschaftende Vollweidebetriebe. Das Ergebnis: „Die Flächenleistung Milch (inklusive Schattenflächen* für Kraftfutter) der konventionellen saisonalen Vollweidebetriebe ist durchschnittlich mindestens so hoch wie jene der Hochleistungsbetriebe mit Maisanbau. Die Werte liegen an guten Standorten im Schweizer Mittelland im Bereich von 11.000 bis 14.000 kg ECM/ha Futterfläche. Die Milchproduktion der Hochleistungsbetriebe im Schweizer Mittelland ist nur zum Teil standortgerecht. Sie ist von importierten Protein- und Energieträgern abhängig. Für die Produktion des eingesetzten Kraftfutters werden 40 % der für die gesamte Jahresration benötigten Flächen beansprucht. Der größte Teil davon sind Flächen außerhalb der Schweiz und Europa.“(Ausschnitt aus der Veröffentlichung: „Züchten von Kühen für eine effiziente graslandbasierte Milchproduktion“; P. Thomet, S. Ineichen, H.Jörg). Das dieser Aspekt keinesfalls nur in der Schweiz eine Rollen spielt, darüber waren sich alle Tagungsteilnehmer einig.
*Flächenbedarf des zugekauften Grund- und Kraftfutters. Diese Fläche kann im In- und Ausland liegen.