Herdenschutz
Schäfer und Behörden testen Herdenschutzzäune
Angesichts der Zunahme von Rissereignissen durch Wölfe wünschen sich Schaf- und Ziegenhalter einen besseren Schutz ihrer Tiere.
Aktuelle Situation
In Hessen erfüllen aktuell die 90 cm-Standard-Schafnetze bei einer Hütespannung von 3000 V die Mindestanforderungen für den Herdenschutz. Doch etliche Schafhalter sind verunsichert, weil in den vergangenen Monaten Medienberichten zufolge dieser Grundschutz von Wölfen mehrfach überwunden wurde.
Der Anwendung von sogenannten Herdenschutzzäunen (auch Wolfsschutzzäune genannt), denen vom Handel eine höhere Schutzwirkung gegen große Beutegreifer im Vergleich zu Standardzäunen zugeschrieben wird, stehen jedoch viele Betriebe skeptisch gegenüber. Sie sehen sich mit höheren Anschaffungskosten, Problemen im Handling und einem höheren Arbeitsaufwand für Auf- und Abbau der meist höheren Zäune konfrontiert. Wissenschaftliche Untersuchungen, die eine größere Schutzwirkung durch höhere Zäune bestätigen, sind zudem rar.
Andere Schafhalter, die bereits jetzt mit einem höheren Herdenschutzniveau arbeiten wollen, konfrontieren die Eigentümer von Landschaftspflegeflächen wie Naturschutzbehörden und -verbände mit den höheren Verfahrenskosten, besonders für Flächen in unwegsamen Gelände. Die Vertragspartner suchen deshalb nach verlässlichen Kalkulationshilfen für die Berechnung höherer Herdenschutzleistungen in der Landschaftspflege.
Die Datensammlung „Kosten für den Herdenschutz“ des KTBL (Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V.) kann als Grundlage herangezogen werden. „Basierend auf meinen Beratungserfahrungen, findet sie bislang in der Praxis aber keine weitreichende Anwendung“, erläutert Arnd Ritter vom Beratungsteam Tierzucht und Qualitätssicherung des Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen. Dies liegt auch an der hohen Diversität der Dienstleistung „Landschaftspflege mit Schafen“. Die durch die KTBL ermittelten Kostensätze können daher nicht für jeden Einzelfall ungeprüft herangezogen werden.
Im Test: Wie hoch ist der Arbeitsmehraufwand bei Verwendung von Herdenschutzzäunen?
Anfang Juni haben sich daher hessische Schäfer mit Vertretern hessischer Naturschutzbehörden an den Berghängen der Burg Ludwigstein bei Witzenhausen getroffen, um beispielhaft auf einer typischen Landschafspflegefläche Herdenschutzzäune im praktischen Einsatz mit Blick auf den Arbeitsaufwand zu testen. An zwei Standorten wurden drei unterschiedliche Herdenschutzzaun-Varianten auf- und abgebaut und der dafür benötigte Zeitbedarf ermittelt. Für eine bessere Vergleichbarkeit wurden ausnahmslos Zäune mit einer bauartbedingten Höhe von 120 cm verglichen.
Herdenschutzzaun-Varianten im Test
Variante 1: „Turbomax high energy plus earth“
- 105 cm hoch mit Doppelspitze
- mit zusätzlicher Pfahlreihe (145 cm hoch) und Breitbandlitze auf 120 cm Höhe ausgestattet
Variante 2: „Euro Kombi Wolfsnetz JUMBO 106/2 Wildverbiss“
- 105 cm hoch,
- mit zusätzlicher Pfahlreihe (145 cm hoch) und Breitbandlitze auf 120 cm Höhe ausgestattet
Variante 3: „Schafnetz horinetz“
- 120cm hoch, mit Doppelspitze
Die Zaunsysteme wurden von ein und derselben Testperson auf- und wieder abgebaut. Der erste Standort hat eine geringe Hangneigung mit teilweise terrassenförmigen flachen Abschnitten. Der zweite Standort war ein Steilhang mit einem Gefälle von 15 bis 25 % mit teilweise steinigen Abschnitten. An allen beiden Standorten war der Boden (tonhaltig und flachgründig) sehr trocken.
Auf das Vormähen der Zaunlinie wurde aus technischen Gründen im Test verzichtet. Dies war jedoch auch nicht nötig, da die Vegetation durch eine kurz zuvor stattgefundene Beweidung niedrig war. Auch die Zeiten für Aufbau und Anschluss von Zaungerät und Erdungssystem wurden nicht erfasst.
Variante | High Energy 105 +BBL* | Euro-Kombi-Jumbo +BBL* | horinetz 120 | ||
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alle Zeitangaben in Min. *BBL = Breitbandlitze an Zusatzpfählen auf 120 cm Höhe | |||||
Aufbau am Standort 1,leicht geneigtes Gelände | Netz stecken, 50m | 02:55 | 02:48 | 03:30 | |
Horizont Zusatzpfähle 145cm 7 Stck stecken | 01:52 | 01:53 | x | ||
20mm Breitbandlitze ziehen | 02:18 | 02:18 | x | ||
4 Zusatzpfähle zur Stabilisierung und Bodenanpassung einbauen | – | – | 03:40 | ||
50 m Wolfszaun 120 aufbauen | 07:05 | 06:59 | 07:10 | ||
Mehraufwand für Aufrüsten auf 120 cm | 143% | 149% | 105% | Ø 132% | |
Abbau am Standort 1,leicht geneigtes Gelände | Breitbandlitze aus Isolatoren fädeln und auf Haspel wickeln | 02:40 | 02:40 | – | |
Horizont Zusatzpfähle 145cm 7 Stck aufnehmen und bündeln | 02:05 | 02:04 | – | ||
Netzzaun 105 cm 50m aufnehmen und bündeln | 02:30 | 02:30 | – | ||
Netzzaun 120cm 50m, inkl. 4 Zusatzpfähle aufnehmen und bündeln | – | – | 04:10 | ||
50 m Wolfszaun 120 abbauen | 07:15 | 07:14 | 04:10 | ||
Mehraufwand für Abbau von 120 statt 106 cm % | 190% | 189% | 67% | Ø 149% | |
Mehraufwand (Auf-Abbau) für 120 cm im leicht geneigten Gelände | 165% | 168% | 114% | Ø 149% |
Variante | High Energy 105 +BBL* | Euro-Kombi-Jumbo +BBL* | horinetz 120 | ||
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alle Zeitangaben in Min. *BBL = Breitbandlitze an Zusatzpfählen auf 120 cm Höhe | |||||
Aufbau am Standort 2,Steilhang | Netz stecken 50 m | 04:45 | 04:45 | 04:10 | |
Horizont Zusatzpfähle 145cm 7 Stck stecken | 02:25 | 02:25 | – | ||
20mm Breitbandlitze ziehen | 02:28 | 02:27 | – | ||
4 Zusatzpfähle zur Stabilisierung und Bodenanpassung einbauen | – | – | 04:00 | ||
50 m Wolfszaun 120 aufbauen | 09:38 | 09:37 | 08:10 | ||
Mehraufwand für Aufrüsten auf 120 cm | 102,81 | 102,46 | 71,93 | Ø 92% | |
Abbau am Standort 2,Steilhang | Breitbandlitze aus Isolatoren fädeln und auf Haspel wickeln | 03:17 | 03:18 | – | |
Horizont Zusatzpfähle 145cm 7 Stck aufnehmen und bündeln | 02:45 | 02:45 | – | ||
Netzzaun 105 cm 50m aufnehmen u. bündeln | 03:45 | 03:45 | – | ||
Netzzaun 120cm 50m, inkl. 4 Zusatzpfgähle aufnehmen und bündeln | – | – | 07:48 | ||
50 m Wolfszaun 120 abbauen | 09:47 | 09:48 | 07:48 | ||
Mehraufwand für Abbau von 120 statt 106 cm % | 161% | 161% | 108% | Ø 143% | |
Mehraufwand (Auf-Abbau) auf 120cm im Steilhang | 17% | 17% | 88% | Ø 41% | |
zusätzlicher Arbeitsaufwand im Steilhang | 228% | 228% | 141% | Ø 199% |
Testergebnisse
Der Zeitaufwand für das Netzstecken der 105 cm hohen „Herdenschutz-Netze“ (Teilleistung in den Varianten 1 und 2) war im Testlauf im leicht geneigten Gelände (Standort 1) mit knapp 3 Minuten für 50 Meter Zaun vergleichbar mit Standardwerten für herkömmliche 90cm-Schafnetze. Das Errichten eines Herdenschutzzaunes mit 120 cm Höhe (Variante 3) beanspruchte im gleichen Gelände im Mittel gut 7 Minuten (Ø +132 %).
Für den finalen, einsatzbereiten Aufbau der Varianten 1 und 2 (zusätzliches Setzen der 145 cm hohen Pfahlreihe + Anbringen der Breitbandlitze auf 120 cm) war im Schnitt 149 % mehr Arbeitszeit zu leisten, wohingegen der Mehraufwand für Variante 3 (vom Hersteller nicht vorgesehene Stabilisierung des Netzes mit zusätzlichen Pfählen) „horinetz 120“ mit + 105 % deutlich geringer ausfiel.
Im Steilhang (Standort 2), erhöhte sich der Zeitaufwand für den Zaunbau durchschnittlich um knapp 200 % im Vergleich zum flachen Testgelände (Standort 1). Der Mehraufwand für das Aufrüsten der Zäune auf 120 cm Höhe fiel im Steilhang (Standort 2) weniger ins Gewicht (Ø +41 % für 120 cm).
Zusammenfassung
Der Datenumfang des durchgeführten Praxistests ist begrenzt, ebenfalls die Auswahl der drei Test-Zaunvarianten.
Trotz des limitierten Datenumfangs zeigt sich jedoch eine Tendenz: Beim Zäunen mit Herdenschutzzäunen stieg der Arbeitszeitaufwand im Vergleich zu Standard-Schafzäunen deutlich an (Ø +149 %). Im Steilhang (Standort 2) erhöhte sich der Arbeitsaufwand für den Zaunbau um knapp 200 % im Vergleich zum günstigen Gelände (Standort 1).
Der Einsatz des 120cm hohen Schafnetzes (Variante 3) hatte im Vergleich zur Verwendung von 105 cm hohen Netzen plus Zusatzpfähle und Breitbandlitze (Varianten 1 und 2) Vorteile im Arbeitszeitbedarf. Die am Test beteiligten Schäfer kritisierten jedoch die schlechtere Standfestigkeit des höheren Netzes.
Ausblick
Durch die große Diversität in der Schafhaltung und beim Zaunbau sind weitere Tests mit anderen Zaunsystemen dringend notwendig. Nur so können die Kalkulationshilfen praxisnaher, aussagekräftiger und damit nutzerfreundlicher gestaltet werden und eine größere Akzeptanz erfahren.
Ob die höheren Herdenschutznetze in der Praxis die Gefahr von Wolfsübergriffen auf Weidetierherden reduzieren, muss langfristig beobachtet werden. In den wenigen bekannten Studien, in denen das Verhalten von Wölfen an Weidezäunen wissenschaftlich untersucht wurde (z.B. AGRIDEA) haben bereits niedrige Elektrozäune eine gute Abwehrwirkung gegen Wölfe entfaltet.