Rinder
Einblicke in die Milchkuh- und Kälberhaltung Schwedens
Oft heißt es, die nordischen Länder seien in vielerlei Hinsicht weiter als Deutschland. Aber ist dies auch in der Milchkuhhaltung der Fall? Die Arbeitsgruppe des „Gesamtbetrieblichen Haltungskonzeptes – Kälber und Jungviehhaltung“ hat sich Anfang Mai auf den Weg in den Norden gemacht und die Kälberhaltung in Schweden genauer angeschaut.
Zwischenstopp wurde dabei auch auf einem Betrieb in Dänemark eingelegt. Die gewonnenen Erfahrungen und Einblicke sollen in die Projektarbeit aufgenommen werden und in einer Broschüre zur „Kälber und Jungviehhaltung“ verschriftlicht werden.
Viel Platz für die Kälber im neu gebauten Kälberstall (1. Betrieb)
Der erste Besuch führte zu einem klassischen Milchviehbetrieb in Schweden mit 200 HF-Kühen und 200 Färsen. Pro 75 – 80 Kühe gibt es ein automatisches Melksystem. Die Kühe werden pro Tag im Durchschnitt 2,6-mal gemolken. Die Jahresleistung liegt bei 12.900 Liter Milch. Im Jahr 2021 wurde auf dem Betrieb ein neuer Kälberstall gebaut, der acht Abteile für bis zu zehn Kälber hat. Der Stall ist auf der Ostseite mit vier Rolltoren ausgestattet. Für je zwei Abteile gibt es einen Tränkeautomaten. In jedem Gruppenabteil werden allerdings nur sechs Kälber eingestallt, die dort von der zweiten bis zur zehnten Lebenswoche bleiben. Pro Bucht ergibt sich eine Fläche von 3 x 8 m mit 12 % Gefälle. Der Strohverbrauch liegt bei 4 kg Stroh je Kalb und Tag. Mit 2,5 Monaten werden die Tiere in den Jungviehstall umgestallt. Der Stall ist ein Tiefstreustall mit planbefestigtem Fressgang und Schieberanlage. Nach der Besamung kommen die Tiere in den laktierenden Stall.
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Arbeitsbedingungen werden bei der Planung für den neuen Kälberstall mitgedacht (2. Betrieb)
Am zweiten Tag erfolgte die Besichtigung eines Standortes, an dem 800 Kühe sowie die Kälber (bis vier Monate) gehalten werden. Auf zwei weiteren Standorten werden 700 Färsen aufgezogen sowie 216 Mastbullen gemästet. Die Abkalbebox ist in den Trockensteherstall integriert und als Zweiflächenbucht mit Tiefstreu und Einstreuautomat konzipiert. Die Abkalbung erfolgt direkt in der Gruppe. Unmittelbar nach der Geburt werden die Kälber in eine angrenzende Box separiert und spätestens am nächsten Tag in den Kälberstall verbracht. Die Kälber sind in mit Stroh eingestreuten Einzeliglus untergebracht, die alle in einem Kälberstall platziert sind. Durch die paarweise Zusammenstellung der Iglus wird den Kälbern der Kontakt miteinander ermöglicht. Die Kommunikation der Mitarbeitenden erfolgt über ein Farbsystem. Markierungsbänder in verschiedenen Farben zeigen an, welche Maßnahmen zu ergreifen sind bzw. bereits ergriffen wurden (z. B. Erkrankung, Tränkemenge). Die aufwändige Bauweise wurde zur Optimierung der Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden gewählt. Um das Personal auch in Schwedens Wintern zu halten, spielen die Rahmenbedingungen dort eine große Rolle. Im weiteren Verlauf der Aufzucht werden die Kälber in Gruppen zu je neun Tieren in Gruppenbuchten mit Tiefstreu untergebracht. Nach dem Absetzen werden männliche und weibliche Kälber getrennt in Zweiflächenbuchten auf Stroh gehalten. Das Absetzen erfolgt nach einer Zeitspanne von etwa acht bis neun Wochen.
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Neuer Kälberstall für Gruppen mit Tränkeautomat (3. Betrieb)
Der dritte Betrieb wird bereits in dritter Generation von Eline und ihren beiden Brüdern geführt. Insgesamt werden dort 340 Kühe gehalten. Bis zum Jahr 2023 wurde der Betrieb nach den Prinzipien der biologischen Landwirtschaft geführt, seit Anfang 2024 erfolgt die Produktion nun konventionell. Auch hier werden die Kälber ab dem 14. Lebenstag in einen neu errichteten Kälberstall verbracht, wo sie in Gruppen zu je neun Tieren gehalten werden. Pro Gruppe steht eine Tränkestation zur Verfügung. Hinter den Gruppenbuchten befindet sich ein zentraler Versorgungsgang, über den die Kälber durch eine große Fensterfläche beobachtet werden können. Mittels Klappen kann die Strohbühne betreten werden kann. Somit ist auch hier der Arbeitskomfort auf hohem Niveau gegeben.
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Just-in-time Abkalbung durch bauliche Aufteilung (4. Betrieb)
Der vierte besichtigte Betrieb hält 330 Kühe und weibliche Nachkommen, die aus dem Kreuzungszuchtprogramm „ProCross“ stammen. Die Abkalbung erfolgt im Transitstall. Aufgrund der baulichen Aufteilung wird eine Just-in-Time-Kalbung umgesetzt. Dabei werden die Kühe zur Abkalbung in eine Einzelbucht direkt am Trockensteherabteil gesperrt, der Blickkontakt zur Gruppe zulässt. Dort verbleiben Kuh und Kalb für einen Zeitraum von ein bis zwei Tagen zusammen. Die Unterbringung der Kälber erfolgt in offenen Einzeliglus. Das sogenannte Pairing wird hier nach paar Tagen umgesetzt. Im Anschluss erfolgt die Einstallung in Gruppen von je fünf Kälbern in Großraumiglus. Nach den Großraumiglus werden die Rinder im Zweiraumlaufstall des Milchviehstalls untergebracht. Im vorderen Laufflächenbereich ist der Boden planbefestigt, während der hintere Bereich des Stalls mit Stroh eingestreut wird.
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Vier Betriebsstandorte, auf einem Standort die Nachzucht (5. Betrieb)
Das hier beschriebene Familienunternehmen basiert auf vier Milchviehbetrieben, die an unterschiedlichen Standorten verteilt sind. An allen vier Standorten werden, in Eigenregie durch die verschiedenen Familienmitglieder, zusammen insgesamt 1.500 Kühe und 5.070 Rinder beherbergt. Auf dem besuchten Standort werden 530 Kühe und die gesamte Nachzucht aller vier Standorte gehalten. Insgesamt stehen für die Einzelhaltung der Kälber 120 Iglus zur Verfügung. In zwei gesonderten Iglus findet die Erstversorgung der Kälber statt. Die Kälber verbleiben für einen Zeitraum von 14 Tagen in den Einzeliglus, bevor sie in die Gruppenhaltung wechseln. Insgesamt gibt es 25 Gruppen mit jeweils sechs bis sieben Tieren. Die nutzbare Stallfläche je Kalb beträgt im älteren Stall aus dem Jahr 2015 3 m² und im Stall aus dem Jahr 2021 4 m² je Kalb. Die Tränkephase erstreckt sich über einen Zeitraum von zehn Wochen, in denen die Kälber zweimal täglich mit einer Menge von 3,5 Litern Milchtränke versorgt werden. Nach Abschluss der Tränkephase werden die Kälber in Gruppen von zwölf Tieren zum Jungrinderstandort verbracht und dort eingestallt.
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Jersey-Kuh-Betrieb mit saisonaler Abkalbung in Dänemark (6. Betrieb)
Der Abschluss der Fachexkursion fand auf einem dänischen Milchviehbetrieb statt. Der Betrieb hält insgesamt 1.050 Jersey-Kühe. Seit 1993 erfolgt eine saisonale Abkalbung nach neuseeländischem Prinzip. Die trockengestellten Kühe werden Anfang Mai auf die Weide getrieben. Im Juli beginnt die Kalbesaison und dauert 8 – 10 Wochen. Die Kalbung erfolgt auf der Weide, wobei sich die Anzahl der Kalbungen auf 35 – 40 pro Tag beläuft. Im Anschluss werden die Kühe dreimal täglich und im weiteren Verlauf der Laktation zweimal täglich gemolken. Die künstliche Besamung aller Kühe erfolgt von September bis November. Die Kälber werden nach der Kalbung in diesen Stall (siehe Foto) verbracht und in Gruppen zu je 20 Kälbern an der Milchbar getränkt. Wenn der Stall voll belegt ist, werden die Kälber ebenfalls in 20er Gruppen in den im Hintergrund zu sehenden Kälberställen untergebracht. Die neugeborenen Kälber erhalten gemischtes Kolostrum der Kühe, die in den letzten 24‑Stunden abgekalbt haben. Die Tränkeperiode dauert etwa drei Monate an.
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Fazit nach der Exkursion
Der Blick über den Tellerrand hat gezeigt, dass die Auseinandersetzung mit anderen Bedingungen und Philosophien von entscheidender Bedeutung ist, um die Ansätze und Entwicklungen fachlich zu verstehen und einzuordnen. Vor allem wurde deutlich, dass die klimatischen Bedingungen in den Wintermonaten die Haltungs- und Arbeitsbedingungen deutlich beeinflussen. Digitalisierung und Automatisierung sind in Schweden nicht stärker ausgeprägt bzw. legen sie andere Schwerpunkte als hier in Deutschland. Aber auch die politischen und gesellschaftlichen Diskussionen sowie Forderungen nach alternativen Haltungskonzepten entsprechen dem Diskussionsstand hier in unserem Lande. Allerdings unterscheidet sich die finanzielle Wertschöpfung deutlich. Sowohl Milch als auch Fleisch werden in Schweden besser vergütet. Die gesellschaftliche Verantwortung an einer nachhaltigeren Landwirtschaft wird von allen Beteiligten mitgetragen.
Produktionstechnisch wurden folgende Punkte in nahezu allen Betrieben ernst genommen:
- Für die Haltung von Kälbern ist Stroh in guter Qualität und in ausreichender Menge von entscheidender Bedeutung.
- Das schwedische System fördert bei guten stabilen Preisen die Mast der eigenen Kälber.
- Hohe Milchleistungen in allen Betrieben trotz vorhandenem Optimierungspotential.
- Konsequentes Management ist ein wichtiger Faktor auf den schwedischen Betrieben.
- Die Arbeitsqualität wird ernst genommen, die Arbeitswirtschaft muss aber auch einfach gehalten werden.
- Allgemein wird für die Kälber eine restriktive Fütterung umgesetzt.
- In der Tränkephase wiesen die besuchten Betriebe eine hohe Ähnlichkeit hinsichtlich der genutzten Haltungssysteme auf. Kleine Gruppen, hygienisch getrennt und gut überwacht.
Gesamtbetriebliches Haltungskonzept
In den durch die BLE-geförderten „Gesamtbetrieblichen Haltungskonzepten“ werden bundesweite Arbeitsgruppen gebildet, die innovative Lösungen für Tierhaltungssysteme entwickeln. Organisiert werden diese durch einen Zusammenschluss von den Landwirtschaftskammern und Landesanstalten. Hierbei entstanden tierartenspezifische Arbeitsgruppen, die sich mit zukunftsorientierten Stallkonzepten für die Haltung von Rindern, Schweinen und Geflügel befassen. Bereits vier Broschüren sind dabei entstanden: Milchkühe, Mastschweine, Sauen & Ferkel und Konzepte für die Junghennenaufzucht. Kurz vor der Vollendung stehen die innovativen Haltungskonzepte in der Mastrinderhaltung.
Die bundesweite Arbeitsgruppe Rind wird von der LWK NRW im VBZL Haus Düsse koordiniert. Seit Anfang des Jahres 2024 wird nun das Thema „Gesamtbetriebliche Haltungskonzepte – Kälber- und Jungviehhaltung“ bearbeitet. Um innovative Lösungsansätze zu entwickeln, ist ein Blick über den Tellerrand immer unentbehrlich. Genau zu diesem Zweck wurde die Fachexkursion durchgeführt und der Ausgangsfrage nachgegangen. Die gewonnenen Erfahrungen und Einblicke sollen in die Broschüre „Kälber und Jungviehhaltung“ einfließen. Unterstützt wurde die Fachexkursion durch das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)-finanzierte Projekt Netzwerk Fokus Tierwohl.