Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen

Rinder

Rund ums Kalb: Großveranstaltung des Netzwerk Fokus Tierwohl

Nachlese zur Veranstaltung „Neue Ansätze für Aufzucht, Mast und Haltungstechnik – mit fitten Kälbern in die Zukunft“

Da zurzeit immer wieder neue Herausforderungen auf die rinderhaltenden Betriebe zukommen und die Kälberhaltung zudem politisch stärker in den Fokus rückt, beschäftigt sich das Projekt Netzwerk Fokus Tierwohl auch mit Themen rund ums Kalb.

Im Rahmen der Wissenstransferveranstaltungen hatten sich die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern und Hessen zusammengeschlossen, um der Praxis neue Ansätze und Ideen der Kälberaufzucht und -haltung in einer kombinierten Präsenz- und Onlineveranstaltung aufzuzeigen.

Referentinnen und Referenten und Projektmitarbeiterinnen und Projektmitarbeiter des Netzwerkes Fokus Tierwohl

Beim Info-Tag am 19.10.2022 an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) in Grub drehte sich alles um Stallklima, Luftzufuhr, Haltungssysteme und optimierte Arbeitsabläufe. Die Inhalte der Vorträge bauten aufeinander auf, führten die Gäste durch die verschiedenen Aspekte der Kälberhaltung und zeigten Knackpunkte und Fallstricke auf. Im Anschluss konnten sich die Teilnehmenden bei einer Firmenausstellung zu den behandelten Themen informieren und Ideen für Lösungsansätze im eigenen Betrieb entwickeln.

Gute Lungengesundheit – Welche Ansprüche hat das Kalb?

Die Lunge ist ein Knackpunkt, wenn es um die Gesundheit von Kälbern geht. Dr. Maren Feldmann vom Schweizer Kälbergesundheitsdienst erklärte mit welchen Herausforderungen die Lunge eines Kalbes konfrontiert wird. Schwankende Temperaturen, zu hohe Luftfeuchtigkeit, Zugluft, Schadgase und Staub sind Faktoren, welche die Gesundheit stark gefährden können. Es gilt also, die Risikofaktoren so gering wie möglich zu halten, wie z. B. durch ausreichend Einstreu und das Schaffen eines geeigneten Mikroklimas durch Zwischendecken.

Ansprüche von Kälbern an das Stallklima – Mögliche bauliche und technische Umsetzung

Die Teilnehmenden hatten nun gelernt, dass die Luftqualität ein ganz entscheidender Faktor für die Kälbergesundheit ist. Aber wie bringt man das theoretische Wissen in den Stall? Dies ist stark abhängig vom Haltungssystem, wie Johannes Zahner von der Bayrischen Landesanstalt für Landwirtschaft erklärte. Es ist beispielsweise schwierig, in Außenklimaställen eine konstante Temperatur zu halten. Werden Seitenwände eingesetzt, um den Luftaustausch zu reduzieren, muss penibel darauf geachtet werden, dass keine Lücken für Zugluft gelassen werden. In der Igluhaltung ist dagegen eine zu hohe Temperatur im Sommer zu erwarten, falls keine effektive Beschattung durch Bäume oder ein isolierendes Dach zur Verfügung stehen. Je nach Gebäudeart kann eine natürliche Lüftung oder z.B. eine gut geplante (!) Schlauchlüftung eine gleichmäßige Luftverteilung ermöglichen.

Neue Aspekte in der Kälberhaltung – Was passt zu meinem Betrieb?

Das beste System ist immer das, welches funktioniert. Dies kann je nach Betrieb unterschiedlich sein und ist von den örtlichen Begebenheiten, der Managementsituation und auch von persönlichen Vorlieben abhängig. Dr. Hans-Jürgen Kunz vom Institut für Tierzucht und Tierhaltung in Kiel machte auf die Vor- und Nachteile verschiedener Haltungssysteme aufmerksam. Iglus, als eine Form der klassischen Einzelhaltung in den ersten Lebenswochen, erzeugen ein Kleinklima und sind gut zu reinigen und zu desinfizieren. Dahingegen sind Einzelboxen, die aus Holz gebaut wurden, schwer zu reinigen und können zur Übertragung von z. B. Durchfallerregern führen. Für die Gruppenhaltung stellte Dr. Kunz verschiedene Ställe vor und zeigte kleine, aber feine Verbesserungsmöglichkeiten. Beispielsweise ermöglicht das Herausnehmen der hochgelegten Standflächen im Riswicker Kälberstall eine einfachere Entmistung. Ställe, die keine Außenwände haben, ermöglichen eine gute Luftzufuhr, sollten aber nicht an windexponierten Stellen stehen.

Wie kann meine Kälberhaltung aussehen? – Praktiker stellen ihre Ideen und Lösungswege vor

Benedikt Renz führt einen Familienbetrieb mit 170 Milchkühen und ist einer der Impulsbetriebe des Netzwerk Fokus Tierwohl. An praktischen Beispielen mit viel Bildmaterial zeigte er, wie seine Version der Kälberhaltung funktioniert. Er baute sich seinen eigenen Kälberstall kurzerhand selbst mit einem nach Süden gerichteten Pultdach. Eindrucksvolle Bilder vermittelten den Gästen, wie der tiefe Sonnenstand im Winter dazu führt, dass der Stall aufgewärmt wird und der hohe Sonnenstand im Sommer zur Beschattung des Stalls führt. Beim Bau seines Kälberhimmels achtete er sorgfältig darauf, dass keinerlei Lücken zwischen Wand und eingezogener Decke liegen und die Kälber so eine Rückzugsmöglichkeit ohne Zugluft erhalten. Kuh- und Kälberstall wurden so angelegt, dass sich Mutter und Kalb auch nach der Trennung noch sehen können.

Und wie sieht es im Fresserstall aus?

Frieder Meidert aus Rosenheim sprang kurzfristig für den Vortrag der „Scheck Gbr“ ein. Er zeigte seine bauliche Umsetzung der Fresseraufzucht in Form eines Außenklimastalls, welcher mit Stroh eingestreut ist und ohne Einzeltierfixierung auskommt. Sein Ziel ist, gesündere, frohwüchsige Fresser mit weniger Verletzungen zu erhalten. In seinem Vortrag rechnete er die entstehenden Aufzuchtkosten vor und zeigte Fotos von ordentlich gereinigten und desinfizierten Ställen und von zufriedenen Fressern.

Auf geht’s in die Ausstellung

Nach einem Mittagsessen konnten die Teilnehmenden die Firmenausstellung besuchen und sich mit den Ausstellenden und den Referentinnen und Referenten persönlich unterhalten und Fragen stellen. Beim Stand des Tiergesundheitsdienst Bayern e.V., konnten sich die Gäste fundierte Informationen abholen. Ebenso war die LKV-Beratungsgesellschaft mbH und LfL Institut für Tierernährung vertreten. Dr. Knopf & Oswald GmbH sowie die Firmen Lock Antriebstechnik GmbH und HAKA Josef Häufele GmbH & Co.KG stellten passend zu den Vorträgen innovative Ideen zur Stallbelüftung vor. Die Firmen ZIMMERMANN Stalltechnik Vertriebs GmbH und Wilhelm Kristen GmbH + Co. KG standen ganz im Namen der Haltungsoptimierung für mehr Tierwohl. Bei der Firma Gummiwerk KRAIBURG Elastik GmbH & Co. KG konnte man sich verschiedene Versionen von Gummiauflagen anschauen. VetSmart NEOWOLF GmbH vereinte in Physik, Tiermedizin und Technik für die Planung von Stallbau und Lüftungstechnik und smaXtec GmbH zeigte ihr Bolus-System zur Früherkennung von Auffälligkeiten. Die Firma Urban GmbH & Co. KG, sowie PATURA KG und Albert Kerbl GmbH stellten ihre Produkte zur Kälberaufzucht und insbesondere zum besseren Tränkemanagement von Kälbern vor. „Last but not least“ gab es einen Informationsstand des Netzwerk Fokus Tierwohl, bei welchem sich die Besucherinnen und Besucher über das Netzwerk und die fachlichen Inhalte informieren konnten. Insbesondere die vielen Berufsschüler und Berufsschülerinnen waren für die fundierten und kostenlosen Informationen auf der Homepage, Facebook, Instagram und Spotify zu begeistern.

Zweiter Veranstaltungsteil: Geburt, Kolostrum und Beschäftigung

In der sich anschließenden Online-Veranstaltung am 21.10.2022 wurden Einblicke in die Geburtshilfe und dem Kolostrummanagement gegeben, um diese alltäglichen Dinge, die jeder milchkuhhaltende Betrieb kennt, stetig zu verbessern. Abgerundet wurden die Vorträge durch einen Exkurs zum Beschäftigungsmaterial bei Kälbern.

Die Geburt als zentrales Ereignis für Kuh und Kalb

Wie der Titel des Vortrages schon vorgibt, ist die Geburt für alle ein zentrales Ereignis. Um diesen Ablauf und die Art und Weise für eine durchzuführende Geburtshilfe näherzubringen, zeigte Prof. Dr. Axel Wehrend (Tierklinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie, Justus-Liebig-Universität Gießen) vollen Körpereinsatz, auch vor der Kamera. Die Devise lautet: Gib der Kuh genug Zeit, um die Geburt alleine zu bewältigen. Erst wenn kein Fortschritt der Geburt zu beobachten ist, sollte eine fachgerechte Geburtshilfe durchgeführt werden. Denn Kälber, die durch einen Auszug auf die Welt gekommen sind, erkranken häufiger an Durchfall, Lungen- und Nabelentzündungen. Um sich Tipps und Tricks vom Fachmann zu holen, sind verschiedenste Fachvideos rund ums Thema Geburt unter www.fokus-tierwohl.de zu finden.

Kolostrum-Management optimieren

 Ist das Kalb da, gibt es Maßnahmen, die unmittelbar nach der Geburt stattfinden sollen. Das wichtigste hierbei ist, Kolostrum so schnell und so viel wie möglich an das Kalb zu vertränken. Den Hintergrund für diese Empfehlungen stellte Dr. Christian Koch von der Lehr- und Versuchsanstalt für Viehhaltung, Hofgut Neumühle, vor. Denn ein erfolgreiches Kolostrummanagement ist der Startschuss für langlebige und leistungsstarke Kühe. Anhand von Grafiken zeigte er, wie stark die Durchlässigkeit der Darmwand für Immunglobuline bei neugeborenen Kälbern abnimmt. Bereits sechs Stunden nach der Geburt zeigt sich, dass 50 % der Immunglobuline nicht mehr aufgenommen werden können. Auch die IgG-Konzentration (mg/ml) steigt bei einer unmittelbaren Kolostrumgabe nach der Geburt (innerhalb der ersten Lebensstunde) deutlich höher an als bei späterer Gabe und bleibt relativ konstant auf einer hohen Konzentration über weitere Tage nach der Geburt. Aber nicht nur Immunglobuline, sondern auch kolostrale Wachstumsfaktoren wirken sich positiv auf die Entwicklung des Kalbes aus. Dr. Koch und die Mitglieder der Arbeitsgruppe ‚Tränkesysteme in der Kälberhaltung‘ im Projekt Netzwerk Fokus Tierwohl sind sich einig: Am besten mehr als 3 Liter frisches und unbehandeltes Kolostrum von der Mutter innerhalb der ersten Stunde. Zu diesem Thema werden in Kürze Informationen auf www.fokus-tierwohl.de zu finden sein.

Mehr Spaß im Stall – Beschäftigungsmöglichkeiten für Kälber

Den gut gelungenen Vormittag rundeten Prof. Dr. Gudrun Plesch (FiBL Deutschland e. V.) und Jasper Metzger-Petersen vom Bioland Hof Backensholz (Impulsbetrieb im Netzwerk Fokus Tierwohl) mit ihrer Sicht auf Beschäftigungsmaterial für Kälber ab. Denn nicht nur Schweine nehmen dies gerne an. Diese Erfahrungen zeigten sich während des Modell- und Demonstrationsvorhaben Tierschutz zur Optimierung der Gruppenhaltung von Kälbern in Hinblick auf Vermeidung und Reduktion des gegenseitigen Besaugens, erklärte Prof. Dr. Plesch. Um das ausgeprägte Spiel- und Erkundungsverhalten bei Kälbern zu fördern und somit das Tierwohl zu erhöhen, gibt es unterschiedliche und attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten, wie z. B. Tannenbäume oder Heuraufen. Mit einfachsten und kostengünstigen Lösungen kommt mehr Spaß und Ablenkung in den Kälberstall. Unter https://www.fokus-tierwohl.de/de/rind/mud-tierschutz-beschaeftigungsmaterial-kaelber finden sich weitere Informationen. Die Broschüre zu den Ergebnissen des MuD-Tierschutz Projekts kann hier bestellt werden und ist zudem als Download abrufbar.

Abschließend veranschaulichte Metzger-Petersen den Teilnehmenden seine Art der Kälberhaltung und teilte seine Erfahrungen zum Beschäftigungsmaterial. Der neu gebaute Kälberstall mit Möglichkeit zum Auslauf steht für Hofbesichtigungen jederzeit offen. Hier sind unter anderem Gummiigel sowie selbstgebaute Heuraufen aus Kanufässern bei den Kälbern sehr beliebt.

Die gelungene Veranstaltung sowohl in Präsenz als auch im Online-Format macht Lust auf mehr und lässt die Vorfreude auf kommende Großveranstaltungen, deren Planungen begonnen haben, wachsen.


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